TAF-Ensemble begeistert gefeiert
Premiere von »Gefährliche Liebschaften« im Badehaus 2 -
Großartig: Martina Mischke als intrigante Madame de Merteuil
Bad Nauheim. »Liebe« - das Wort schwebt im Raum, wird
immer wieder Geschworen und verkommt doch zur Worthülse. »Ewige Liebe« dauert
nur noch höchstens zwei Stunden, »wahre« Liebe ist in Wirklichkeit die »Waren
Liebe. Versprechen über Liebestreue, Aufrichtigkeit und Vertrauen sind in
dieser Welt keinen Cent wert. »Liebe ist etwas, das man benutzt, nicht dem man verfällt.« In diesem Satz - gesprochen von der
Marquise de Merteuil in der wunderbaren Darstellung durch Martina Mischke -
spiegelt sich die ganze Handlung des Stücks »Gefährliche Liebschaften« wider,
das bei der Premiere am Freitag von dem Theater Alte Feuerwache (TAF) im voll
besetzten Badehaus 2 aufgeführt wurde. Die ursprüngliche TAF-Erstaufführung war
für eine Woche zuvor angesetzt, wegen der Krankheit des
Hauptdarstellers aber auf den 18. Oktober verschoben worden. Ein lang
anhaltender verdienter Applaus, vier Vorhänge, Hochrufe und am Ende eine
stehende Ovation- das war der Lohn der gut hundert Zuschauer nach einer fast
dreistündigen Vorstellung des TAF-Ensembles.
Wer spielt mit wem? Madame de Merteuil (Martina Mischke) und
Vicomte de Valmont (Christian Neumeyer) schmieden gefährliche Pläne,
die nicht nur ihren Opfern zum Verhängnis werden.
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Es ist immer ein gewagtes Unterfangen, wenn
Laienschauspieler ein Stück aufführen, das bereits mehrfach präsentiert und
sogar verfilmt wurde. Im Fall von »Gefährliche Liebschaften« kommen viele
Zuschauer mit der Hollywood-Starbesetzung mit Glenn Close, John Malkovich und
Michelle Pfeiffer im Hinterkopf ins Badehaus 2. Den beiden TAF-Regisseurinnen
Pia Nussbaum und Viola Muscolo oblag die schwierige Gratwanderung, dem Anspruch
des Publikums mit vergleichsweise bescheidenen Mitteln gerecht zu werden. Dem TAF-Team
gelang nicht nur diese Gratwanderung. Nussbaum und Muscolo setzten ihre Mittel
und Möglichkeiten so gezielt und wirksam ein, dass ihnen eine ganz besondere,
bemerkenswerte Adaption des Dramas von Christopher Hampton gelang.
Das Bühnenbild ist auf nur drei Gegenstände, reduziert:
Eine große knallrote Couch mit passenden Kissen, ein kleineres
blass-lila-farbenes Pendant und ein orangefarbener, verspielt geformter
Einsitzer Intelligent setzten die Intendantinnen die Beleuchtung ein, die sich
der Atmosphäre oder dem Seelenzustand der Charaktere anpasste. Die aufwändig
maßgeschneiderten Kostüme, die von Gisela Fink und Kerstin Schulz angefertigt
wurden, und die teilweise etwas gestelzte Sprache sind die einzigen Hinweise
auf Zeit und Raum des Spiels.
Julia
Raab als "Unschuld vom Lande"
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Sie spielen Karten und wissen nichts von den Intrigen des
Vicomte und Madame de Merteuil. Die drei "anständigen"
und biederen Damen (Carolin Cuntz als Madame de Volanges, Beatrice
Deschamps als Madame de Rosemonde und Viola Muscolo als Madame de
Tourvel).
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Geschrieben wird das Jahr 1782. Es ist die Zeit des
Rokoko in einem Pariser Salon, in der die Handlung ihren Lauf nimmt. Doch der
Inhalt ist zeitlos. Es geht um Intrigen, Lust, Verrat, Treuebruch und das
Rätsel der Liebe. Die Marquise de Merteuil (Martina Mischke) will sich an einem
ihrer ehemaligen Geliebten rächen. Dieser hat sich mit Cecile (Julia Raab), der
Tochter ihrer »Freundin« Madame de Volanges (Carolin Cuntz), verlobt. Eine
Hochzeit steht unter der Voraussetzung, dass die Braut als Jungfrau in die Ehe
kommt. Dies ist ein gefundenes Fressen für die hasserfüllte Marquise. Um die
Braut zu »verderben«, benötigt sie allerdings die Hilfe ihres langjährigen
Freundes und erklärten Schürzenjägers, des Vicomte de Valmont (Christian Neumeyer). Der Vicomte allerdings lehnt zunächst ab, die
unschuldige Cecile zu verführen. Die Aufgabe sei zu einfach und seinem Anspruch
nicht angemessen: »Die liegt schon auf dem Rücken, bevor die Blumen
ausgewickelt sind«, gibt er zu bedenken. Ihm reize es viel mehr, die tugendhafte
Madame de Tourvel (Viola Muscolo) zu verführen, die derzeit bei seiner
Schwester Madame de Rosemonde (Béatrice Deschamps) zu Gast ist. Wenn die
Marquise ihm allerdings eine Liebesnacht mit ihm verspreche, sei er bereit, ihr
diesen Freundschaftsdienst zu erweisen. Die beiden schließen einen Teufelspakt,
den die Marquise jedoch nicht zu halten gedenkt. Das Verhängnis nimmt seinen
Lauf. Die Handlung endet tragisch: Der Vicomte wird von dem von ihm zuvor
verspotteten, blassen Jüngling Chevalier Danceny (Michael Schulz) im
Fecht-Duell niedergestreckt, Madame de Tourvel begeht Selbstmord und Cecile
zieht sich ins Kloster zurück.
Exzellente Darsteller Die eigentliche Handlung tritt angesichts der exzellenten
und einnehmenden Darbietung der Schauspieler in den Hintergrund. Besonderes Lob
verdient Martina Mischke. Die Nauheimerin spielte in herausragender Weise die
arglistige Madame de Merteuil. Köstlich ist, wenn sie indigniert in die Runde
schaut oder ihr falsches Lächeln auflegt. Wenn sie den Blick ungeduldig in
Richtung Decke wendet und einen Schmollmund formt, scheint sie all ihre Bosheit
im Inneren zu sammeln, um diese wenig später in einem zornigen Ausbruch oder
einer hinterhältigen Freundlichkeit ihren Mitmenschen zuteil werden zu lassen.
Die Scheinheiligkeit der Intrigantin mimt Martina Mischke mit einem
professionellen Mienenspiel und einer exzellenten Körpersprache. Ein
hervorragendes Debüt in der TAF-Truppe gab Julia Raab als Cecile de Volanges.
Hätte man ihr noch ein Lämmchen aus Stoff unter den Arm geklemmt, wäre sie die
perfekte »Unschuld vom Lande« gewesen. Julia Raab gelingt die Mischung aus
prüder Enthaltsamkeit und unterdrückter Sehnsucht. Sie scheint verletzlich,
kindlich naiv und gleichsam so selbstbewusst. Nachdem sie dem Werben des Vicomte
nachgegeben hat, schwankt sie zwischen dem Glück nach der ersten Liebesnacht
und Verzweiflung über ihr Nachgeben.
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Cecile de Volanges (Julia Raab) kann den Verführungskünsten
des Vicomte de Valmont (Christian Neumeyer) nicht wiederstehen.
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Zwischen Gefühl und Verstand Viola Muscolo verkörpert in hinreißender Weise die
sittsame Madame de Tourvel, die von ihrer selbst gehemmten Leidenschaft noch
stärker gebeutelt wird als die junge Cecile. Gleichsam zugeschnürt wie ihr
Korsett schwebt sie zwischen Gefühl und Verstand, möchte dem Vicomte nachgeben,
obwohl es gegen ihre Prinzipien ist. Auch sie verfällt dem Herzensbrecher, der
von Christian Neumeyer überzeugend, aber nicht
immer mit derselben Inbrunst seiner weiblichen Mitwirkenden gespielt wird.
Vortrefflich brachte er allerdings den arroganten und
selbstgefälligen Möchtegern-Casanova herüber, der ohne Rücksicht auf Verluste
seiner Lust frönt. Seine nur relativ kleine Rolle als Diener Azolan und
»Erzähler« ließ Stefan Wendt durch seine souveräne Schauspielkunst zu einem großen
Auftritt werden. Wendt mimte den nonchalanten Verführer von Dienstmädchen (»Was
soll man denn sonst tun auf dem Land?«), den ernsthaften Rezitator über das
Liebesleiden (zum Teil in Französisch) und den untertänigen Diener. Ob die
blasse Rolle des Michael Scholz als Chevalier Danceny beabsichtigt war, blieb
unklar. Doch angesichts der noch geringen Bühnenerfahrung gelang Scholz eine
ansehnliche, wenn auch teilweise etwas steife Interpretation des Danceny.
Ausgezeichnet besetzt waren die weiblichen Nebenrollen.
Viel Applaus bekam Sandra Meissner für ihre aufreizende Rolle als Hure Emilie.
In ihrem Glauben an die heile Welt befangen bleibt Madame de Volanges, der
Carolin Cuntz einen liebenswürdigen und vertrauensseligen Charakter verleiht.
Béatrice Deschamps spielt die Schwester des Vicomte als resolute und
schlagfertige Frau, die allerdings zu gutgläubig ist, um die Intrigen um sie
herum zu erkennen. Einen viel versprechenden Einstand im TAF gab Hanna Binder
als gefügige und schüchterne Dienstmagd Julie.
Die Liebe ist Verlierer im Stück - aber die Leidenschaft
der Darsteller lässt das Stück zu einem Gewinn und herausragendem
Kulturerlebnis werden.
Wetterauer Zeitung, Dienstag, 22. Oktober 2002,
Angelika Bucerius
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